Leben in Garmisch-Partenkirchen

Die Geschichte von Michael Ende beginnt eigentlich schon 1928 in Garmisch-Partenkirchen. In diesem Jahr verabschiedet sich der Künstler Edgar Ende von seiner Heimatstadt Hamburg und zieht in den oberbayerischen Erholungsort. Der Maler, dessen erste Ehe im Jahr zuvor aufgelöst worden ist, reist einer Hamburger Schülerin nach, die in ein Garmischer Internat übergewechselt ist. In ihr sieht er seine neue Liebe. Sein Quartier bezieht Edgar Ende in der Pension Nirwana in der Hindenburgstraße 11, einem Treffpunkt von Künstlern und Dichtern in Garmisch-Partenkirchen in den zwanziger Jahren. Auch Heinrich Mann soll zur gleichen Zeit in dieser Unterkunft gewohnt haben.

Als der surrealistische Maler eines Tages im Ort unterwegs ist, beginnt es plötzlich heftig zu regnen. Um nicht nass zu werden, flüchtet Edgar Ende in einen kleinen Laden im sogenannten "Bunten Haus" in der Bahnhofstraße 66. Dieser gehört der Saarländerin L(u)ise Bartholomä, die sich nach einem Besuch im Schloss Elmau dazu entschlossen hat, nach Garmisch-Partenkirchen überzusiedeln und dort arabische Spitzen und Edelsteine zu verkaufen.

Da es nach Ladenschluss immer noch regnet, lädt Lise den Künstler in ihre Wohnung im ersten Stock zum Tee ein. Dort zeigt ihr Edgar Ende seine Skizzen und gewinnt ihre Sympathie. Die neun Jahre ältere, einsame Luise interessiert sich für Literatur, Philosophie, Mythologie und Religion und findet so einen aufmerksamen Gesprächspartner. Nach einigen Diskussionen, die die ganze Nacht andauern, zieht Edgar Ende bald zu Lise ins "Bunte Haus", am 22. Februar 1929 feiern sie ihre Hochzeit. Fritz Staackmann und Arthur Holzheimer sind die Trauzeugen.

Michael Andreas Helmut Ende wird am 12. November 1929 um 5.15 Uhr im Lokalkrankenhaus Garmisch geboren. Es scheint eine sehr schwierige Entbindung zu sein, da es Augenblicke gibt, in denen man um das Leben der Mutter fürchten muss. Edgar Ende telegraphiert an seinen Vater: "Junge geb. Kaiserschnitt Lise schlimm. Edgar". Zudem stürzt die Geburt Michaels die Eltern in eine schwere finanzielle Krise: Die Arztrechnung von Dr. Mehltretter beträgt 250 Mark, Sanitätsrat Dr. Hans Ulrich erhebt 120 Mark. Während die Mutter einen zweiten Laden in der Mittenwalderstraße 2 a eröffnet, zieht es den Maler in die Großstadt, da er dort für sich und seine Kunst eine größere Resonanz erhofft. "Denn in Garmisch kann ein Maler nichts werden, der muss nach München." 1

Zunächst verbringt Michael seine Kindheit aber in Garmisch-Partenkirchen. Da das Kind übermäßig schnell wächst, passt ihm das Taufkleid aus arabischer Spitze nicht mehr, das die Mutter aus dem Orient hat kommen lassen. Somit verzichten die Eltern auf eine Taufe. Später erlernt Michael das Skifahren im Hof des Bunten Hauses und muss von seinem Vater vor einer heranbrausenden Lokomotive gerettet werden, als er auf den Bahndamm klettert.

Durch einen Umzug nach München-Obermenzing bessert sich die finanzielle Situation der Familie und man kann vier Jahren später nach Schwabing übersiedeln.

1932 kommt Michael in die Volksschule, acht Jahre später besteht er mit Mühe die Aufnahmeprüfung am Humanistischen Maximilians-Gymnasium. Dort bleibt er in der Sexta sitzen. Michael ist so verzweifelt, dass er sich sogar das Leben nehmen will. An seine Schulzeit erinnert sich der Autor aber auch später noch äußerst ungern: Die Schule empfand er wie einen langen, grauen Gefängnisaufenthalt. 2

Während der Schrecken des Zweiten Weltkrieges werden 1943 die Münchner Schulen wegen der zunehmenden Luftangriffe evakuiert. Michael kommt mit der sogenannten Kinderlandverschickung zurück in seinen Geburtsort, zunächst in das "Haus Kramerhof", eine Hotel-Pension in der Von-Müller-Straße 12, wo der zukünftige Schriftsteller seine ersten zehn Gedichte schreibt. Jedoch ist er mit dem Leben dort nicht zufrieden. Er führt einen Hungeraufstand durch und wird in das "Haus Roseneck", eine Pension in der Partnachstraße, strafversetzt.

Hier macht Michael seine ersten Erfahrungen mit Mädchen: Er lernt die Liebe seines Lebens, die "Kochelberg-Musch" kennen, die aber leider ein Jahr älter und somit nicht standesgemäß ist.
Außerdem nimmt Rosemarie Keltsch, die Tochter der Pensionsbesitzerin, bei dem jungen Ende Latein-Nachhilfe.

1944 werden die 14- bis 15-jährigen Schüler aus der Kinderlandverschickung zur Wehrmacht einberufen. Als Michael seinen Stellungsbefehl bekommt, zerreißt er ihn und schlägt sich zu seiner Mutter nach München-Solln durch. Hier erlebt er das Ende des Krieges und die Rückkehr seines Vaters. Nun kann die Familie wieder nach München-Schwabing, diesmal in die Leopoldstraße 135 a, übersiedeln. Ein Jahr später nimmt das Gymnasium seinen Lehrbetrieb wieder auf. Michael bleibt dort aber nur ein Jahr, dann wird er von Bekannten finanziell unterstützt und kann seine letzten zwei Schuljahre in der wieder eröffneten Freien Waldorfschule in Stuttgart verbringen. Der Hintergrund dieser Unterstützung ist übrigens folgender: Michael hat sich in ein drei Jahre älteres Mädchen verliebt, dessen Eltern die beiden unbedingt wieder auseinander bringen wollen. Somit schicken sie den Jungen auf ihre Kosten nach Stuttgart.

Hiermit ist die Zeit des Autors, die er in Garmisch-Partenkirchen verbracht hat, endgültig vorbei. Jedoch setzt Michael Ende nachträglich ein Zeichen, das seine Verbundenheit mit dem Ort seiner Kindheit ausdrückt: 1990 pflanzt er eine Kaiserlinde im Garmischer Kurpark.

Gespräch mit Frau Guizzardi (geborene Keltsch) am 07. April 2004

1) HOCKE, Roman (1997): Die Suche nach dem Zauberwort. Das Leben von Michael Ende. In: Hocke, Roman und Thomas Kraft: Michael Ende und seine phantastische Welt. Stuttgart; Wien; Bern: Weitbrecht-Verlag in K. Thienmanns Verlag, S. 60.

2) Ebenda, S. 69